Innovationsmotor Mittelstand? Nicht in der Digitalisierung.

Innovationsmotor Mittelstand? Nicht in der Digitalisierung.

In Deutschland wird es wie ein Mantra herunter gebetet: “Innovationsmotor Mittelstand”. Sicher stimmte das viele Jahre lang. Als man über Industrialisierung, Ingenieurleistung und Fertigung sprach, traf das zweifelsfrei zu. Der Begriff “Wirtschaftsmotor” ist sicher auch noch zutreffend, auch wenn er zur Zeit ins Stocken zu kommen droht. Wie sieht es aber im Zeitalter der Digitalisierung mit der Motorleistung aus? Kann der Mittelstand auch hier eine führende Position einnehmen? Wenn man sich Zahlen und Statistiken anschaut, muss man das bezweifeln. Vor allem stellt sich daraus die Frage, wie der neue Motor aussehen und welchen Sprint er tanken muss, damit die heimische Wirtschaft weiter vorangetrieben wird.

German Mittelstand

Dem Mittelstand werden in Deutschland rund 99 Prozent der Unternehmen zugeordnet. Darunter zählen Selbständige, Startups, Handwerksfirmen, Handelsunternehmen und Familienbetriebe. Für die Bundesregierung zählen alle Unternehmen mit bis zu 499 Beschäftigten und weniger als 50 Millionen Euro Jahresumsatz zu den KMU. Die KfW subsumiert dem Mittelstand sogar alle Unternehmen mit einem maximalen Jahresumsatz von 500 Millionen Euro. Nach der Definition der EU-Kommission zählen Unternehmen mit bis zu 249 Beschäftigten, einem Jahresumsatz von höchsten 50 Millionen Euro und einer Bilanzsumme von bis zu 43 Millionen Euro als KMU.

Also, mit der Definition ist es schon nicht so eindeutig, aber alle wissen im Groben was damit gemeint ist. Schließlich ist “German Mittelstand” international ein Begriff, der auch gerne in einem Zug mit “Made in Germany” genannt wird.

Ist das schon Digitalisierung?

Wirft man einen Blick in die Erwartungen, Ängste und Maßnahmen des Mittelstands, die sich rund um Digitalisierung drehen, gibt es scheinbar auch dort stellenweise ein wenig Verwirrung. In einem Bericht des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) wurden Zahlen aus einer Studie („Digitalisierung im Mittelstand: Status Quo, aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen“ von Saam, Viete und Schiel (2016) ) und der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) miteinander verglichen, mit dem Ziel, ein echtes Bild der Digitalisierung und der vorgenommenen Maßnahmen zu bekommen. Mittelständische Unternehmen wurden für die Jahre 2013 bis 2015 befragt und das Ergebnis scheint ernüchternd: die Hälfte des Mittelstands gab gerade mal 10.000 Euro pro Jahr für Digitalisierungsprojekte aus. Nur 12 Prozent der Unternehmen geben 40.000 Euro pro Jahr oder mehr aus. Das ist aus meiner Sicht noch nicht mal ein Tropfen auf dem heissen Stein. Die Investitionen sind 2018 zwar leicht gestiegen, aber mit immer noch nur 18.000 Euro pro Jahr nicht weiter erwähnenswert. Klar sind die finanziellen Spielräume andere als bei großen Konzernen, aber genauso sind die unmittelbaren Bedrohungen substantieller als bei großen Unternehmen. Daher muss man sich schon die Frage stellen, was da genau im Mittelstand unter Digitalisierung verstanden wird und warum - und vor allem wie - darauf reagiert wird.

Problem erkannt. Was nun?

Laut einer Studie von E&Y aus dem letzten Jahr haben 2000 mittelständische Unternehmen bestätigt, dass die aus ihrer Sicht das größte Potenzial der Digitalisierung in den Bereichen Vertrieb, Rechnungswesen und Marketing liegen. Richtig erkannt wird, dass die Welt, sprich: der Kunde, sich weitergedreht hat und somit auch seine Konsum- und Kommunikationsgewohnheiten. Kundenbeziehung werden heute digital gepflegt. Sie findet ganz oder teilweise auf digitalem Weg statt, ob das nun E-Mail, Chat oder Transaktionsplattformen bedeutet. Möchte man seine Produkte an den Mann/die Frau bringen, pflegt man Geschäfte vor allem digital.

Alleine diese Tatsache hat schon so enorme Auswirkungen in kleinen und mittelständischen Unternehmen, dass man nur erahnen kann, wie umfangreich solche Vorhaben sein können. Betrachtet man nur mal das Thema “Kommunikation”, kann den kompletten Bogen von IT Infrastruktur, Tools wie Office365, Slack oder WhatsApp bis hin zu Mitarbeitertrainings und Teamstrukturen spannen. Denn alles davon wird durch die Digitalisierung der Kommunikation beeinflusst. Umso erstaunlicher welch lächerliche Summen dafür ausgegeben werden.

We shape our buildings and afterwards our buildings shape us.
— Winston Churchill

Die Grundlage steht oft noch nicht mal.

Um diese erheblichen Eingriffe in den Bestand des deutschen Mittelstands überhaupt ermöglichen zu können, müssen die Grundlagen geschaffen sein. Daher ist es nicht verwunderlich, dass laut KfW die Erneuerung von IT-Strukturen die größte Rolle bei den Digitalisierungsvorhaben des Mittelstands spielt (54 % der Befragten), dicht gefolgt eben von der Digitalisierung des Kontakts zu Kunden und Zulieferern (52 %). Da haben wir noch nicht mal über Produkte gesprochen, geschweige den von Geschäftsmodellen. Ähnlich erschreckend dabei ist die Aussage, dass neben der neuen Infrastruktur von lediglich 29% der Befragten auch die Reorganisation von Workflows angegangen wird.

Mittelstand ist nicht gleich Mittelstand. Die Aufgaben bleiben aber die gleichen.

Geht man diese Befragungen und Studien durch, könnte einem durchaus ein wenig mulmig um die Zukunft unserer Wirtschaft werden. Natürlich muss man das alles aber ein wenig relativieren. Denn von “dem” Mittelstand in Bezug auf Digitalisierung zu sprechen, ist zugegebenermaßen nicht ganz fair. Wenn wir von 99% aller Unternehmen reden, dann muss klar sein, dass die Tischlerei, Rechtsanwaltskanzlei und der Bäckereibetrieb anderen Gegebenheiten ausgesetzt sind, als eine IT-Firma oder Werbeagentur.

Natürlich gibt es Branchenzweige, die von Natur aus näher an IT und Digital zuzuordnen sind, was es ihnen die Umsetzung oft einfacher macht. Genauso ist das volle Spektrum der Reifegrade im Mittelstand vorhanden. Viele die eben erst anfangen und die Grundlagen schaffen, einige die schon mitten drin sind und wenige die das Thema Digitalisierung bereits vor einem Jahrzehnt erkannt haben und mit der Transformation begannen. Denn vor 10 Jahren hätte man tatsächlich damit starten müssen, nachdem 2007 das erste iPhone vorgestellt wurde und - nach kurzer “aber-wo-ist-meine-Tastatur”-Phase - die meisten erkannt, dass sich vieles damit ändern wird. Aber mit der Blindheit, der Ignoranz oder einfach Unwissenheit war man wahrlich nicht alleine.

Gunter Dück hat das in seinem Blog-Post aus 2013 schön beschrieben. Basierend auf der Business-Parabel von Spencer Johnson “Who morphed my cheese?” zeigt Dück wie man mit einem immer-weiter-so eben irgendwann nicht mehr weiter kommt, sondern als Maus erkennen muss, dass man Speck anfangen muss zu essen, wenn es keinen Käse mehr gibt.

Alles neu! Wo fange ich an?

Eine gute und berechtigte Frage. Wenn man bedenkt, dass Digitalisierung im Grunde jede Ritze des Unternehmens beeinflusst, wenn nicht gar verändert, dann steht man vor einer großen Aufgabe. Gleichzeitig steht man da aber auch schon mitten im digitalen Raum. Denn ein entscheidendes Erfolgskriterium ist eine aktive Haltung zur Veränderung. Man muss sich verändern wollen, was auch die Arbeits- und Herangehensweise betrifft. Mit der Digitalisierung kommt nämlich auch ein vollgepacktes Set an Methoden, Konzepte, Frameworks oder einfach Denk- und Arbeitsweisen mit, an dem man sich bedienen kann und sollte.

Bevor man jedoch einen Kreativraum in einem Coworking-Space bucht und wild Ideen spinnt, nach dem Motto “einfach mal machen”, sollte man vorher doch eine strategische Ordnung geben. Der Entrepreneur, Investor und Professor am Harvard Innovation Lab, Michael J. Skok, bezeichnet es in einem Blog-Post als Balance zwischen Vision und Execution. Auch wenn es bei ihm um Startups geht, trifft aus meiner Sicht das Vorgehen für jedes Unternehmen bzw. digitale Produktentwicklung zu. Schließlich will man oft ein wenig mehr wie ein Startup agieren können.

Er macht das Vorgehen an 3 Schritten aus:

  1. Value Proposition

  2. Vision

  3. Roadmap

Nichts Neues. In der Hektik aber oft vernachlässigt. Aber in der Vergangenheit hat es sich immer als hilfreich erwiesen, sich vorab Gedanken zu machen, wofür man steht, welches Problem man löst und wie man sich vom Wettbewerb abgrenzt. Eine Vision darf dabei nicht zum Märchen einer Zukunftswelt werden. Eine gute Vision ist in der Realität verwurzelt und zeigt auf, wie sich der Markt, der Kunde und die Anforderungen verändern und vor allem, welche Rolle man selbst darin spielen wird. Wichtig dabei ist auch zu zeigen, wie man aktiv den Kundenbedürfnissen entgegnet oder gar das Geschäft transformiert.  

Die Roadmap ist dann die Verbindung zwischen Ihrem Wertversprechen (Value Proposition) und der Vision. Sie zeigt, wie man die entwickelten Anforderungen des gerade beschriebenen Marktes berücksichtigen möchten. Dabei sollte man so viele Schritte und Meilensteine wie möglich in die Roadmap setzten, da sie helfen, sich vorzustellen, wie die Transformation voranschreitet und sich entwickelt. Darüber hinaus helfen die Meilensteine dabei sich ein Bild der Zusammenhänge zu machen. Die Roadmap kann je nach Unternehmen unterschiedlich umfangreich ausfallen. Die Tiefe der Roadmap hängt vom Reifegrad der bestehenden Digitalisierung ab. Hat man aber eine Vorstellung wo man hinmöchte und welche Schritte dafür notwendig sind, weiß man wen man dafür benötigt. Danach geht es an die Umsetzung nach Lean Startup, mit Design Sprints oder einer anderen passenden Methodik.

Der Digitalisierungs-Elefant. Schnitt für Schnitt dem Ziel näher.

Auch wenn es nur drei Schritte sind, fühlen sich viele Mittelständler damit vielleicht auch schon überfordert, wenn sie gar nicht sagen können, wie der Markt sich in Zukunft durch die Digitalisierung verändert. Oder welche Meilensteine sinnvoll für zur digitalen Vision führen. Einfach ist das auch nicht. Nicht umsonst gibt es viele Agenturen und Beratungen, die dabei unterstützen. Schaut man sich den Digitalisierungs-Index der Telekom an, hat das Vorhaben auf unterschiedlichsten Ebenen Auswirkungen. Für einen Start mit ausreichend Nachdruck macht ein Chief Digital Officer Sinn oder wie in 63% der Befragten Unternehmen, die Digitalisierung zur Chefsache zu machen.

Das Commitment von oben ist für die Mitarbeiter wesentliche, wenn es eben um Veränderung geht. Und dann kann es der Aufbau einer neuen oder erneuerten Kommunikation, wie einer Website, asynchrones Arbeiten mit Slack, Jammer und Co. oder den Aufbau neuer IT und Datenbanken für flexibleres und schnelleres CRM. Entscheidend ist dabei, dass es eben nicht bei der Website aufhören darf. Dass man sich nicht nur eine neue IT als Ziel setzt. Sondern, dass diese Aktivitäten nur Meilensteine auf der Roadmap sind, die zu einem viel größeren und wesentlich entscheidenderen Ergebnis führen, nämlich der Digitalisierung des Unternehmens mit marktgerechten Geschäftsmodell und wettbewerbsfähigen Produkten.

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